Marius Westernhagen

"Als ich keinen Bock mehr auf die Schule hatte, sagte mein Vater: Dann laß es". Da war Marius Müller-Westernhagen, am 6.12.1948 in Düsseldorf geboren, 14 Jahre alt. "Die höhere Schule" erlebte er als Schauspieler in einer Fernsehrolle und in der Düsseldorfer Rockband Harakiri war er "so eine Art Mick Jagger und Rod Stewart für Arme" (Marius Müller-Westernhagen). Für das satirische TV-Magazin "Express" sang er 1972 "Gib Bayern zurück an die Bayern", eine Persiflage des Hits "Give Ireland Back To The Irish" von Paul McCartney. Unter dem Pseudonym Marius West kam 1974 die Single "Celebration", der Titelsong des Films "Supermarkt", in die Läden. Von nun an begann das schmächtige Temperamentsbündel seine Karriere als Sänger neben der Schauspielerei ernsthafter voranzutreiben.

Westernhagen: Das erste MalAls Rockpoet mit hervorragenden, weil ehrlichen und zumeist autobiografischen Texten stellte sich Müller-Westernhagen Anfang 1975 auf dem Album "Das erste Mal" vor, unterstützt durch den Komponisten Peter Hesslein und seine Gruppe Lucifer's Friend. Auszüge des "bemerkenswerten Debüts mit kesser, rockiger, countryhafter Musik" (Stereo) präsentierte der Newcomer in der eigenen Fernseh-Show "Es geht mir wie Dir" am 1.11.1975.

War "Das erste Mal" eine persönliche Vergangenheitsbewältigung, so wandte sich Müller-Westernhagen auf "Bittersüß" weitgehend Gesellschaftsproblemen zu. Dabei vertrugen sich üppige Arrangements und Bigband-Instrumentierung nicht mit den anspruchsvollen Inhalten.

Populär wurde Müller-Westernhagen nicht durch seine Rockpoesien, sondern durch zahlreiche markante Rollen in Kino- und Fernsehfilmen. Er spielte in der Klamaukkomödie "Hurra, bei uns geht's rund" oder Beiträgen des ambitionierten jungen deutschen Films wie "Verlorenes Leben" von Ottokar Runze oder "Das zweite Erwachen der Christa Klages" von Margarete von Trotta oder auch in der Krimi-Serie "Tatort".

Westernhagen: Mit Pfefferminz Bin Ich Dein PrinzLucifer's Friend unterstützen ihn auch bei der 77er LP "Ganz allein krieg ich's nicht hin"; die Kompositionen wurden blendend arrangiert und aufwendig produziert, kamen aber nicht an. Ganz anders das von Lothar Meid produzierte Album " Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz", das an die Rock'n'Roll-Vergangenheit von Müller-Westernhagen anknüpfte. Die "kesse Rock-Platte, ohne Schnörkel, kompromißlos hart" (Audio), live im Studio aufgenommen enthielt auch Songs wie das an Randy Newmans "Short People" angelehnte "Dicke", dessen Zeilen "Ich bin froh, daß ich kein Dicker bin, denn dick sein ist ne Quälerei" nicht nur die "Vollschlanken" auf die Barrikaden brachten. Die "Pfefferminz"-LP entwickelte sich im Laufe der Jahre zum Bestseller. Für eine Million verkaufte Exemplare erhielt MMW zwei Platin-Auszeichnungen.

Westernhagen: Theo gegen den Rest der Welt1979, nach mehreren schauspielerischen Glanzleistungen, z.b. in "Der Mörder" nach Georges Simenon oder in dem Fernsehfilm "Der Tote bin ich" neben Anne Bennent, drehte der Regisseur Peter F.Bringmann mit Müller-Westernhagen den Kinoerfolg "Theo gegen den Rest der Welt" - eine "Vollgas-Komödie voller Charme und Katastrophen" (Filmwerbung). Für seine Rolle als 'Theo' konnte Müller-Westernhagen 1980 den Ernst Lubitsch-Preis entgegennehmen.

Westernhagen: Sekt oder SeltersAnfang 1981 brachte der "Zyniker par excellence" (Musik Express) mit "Sekt oder Selters" (D #22) sein erstes Album in die deutschen Verkaufs-Charts. Der Musik Express urteilte: "Seit er sich von der eingespielten 'Lucifer's Friends'-Mannschaft um Peter Hesslein getrennt hat, sind MMW's Scheiben weit spontaner, klarer und witziger geworden. Rock'n'Roll, 'ne Prise Rhythm & Blues, auch mal eine Ballade, die immer rotzfrech und natürlich 'rüberkommen wie auch Marius' Texte." Sein Kernteam bestand inzwischen aus dem Produzenten und Bassisten Lothar Meid, Karl Allaut (g), Nick Woodland (g, perc, voc), Jean-Jacques Kravetz (key) und Bertram Engel (dr), der später von dem Mönchengladbacher Schlagzeuger Charlie Terstappen (Ex- Wallenstein) abgelöst wurde. Sporadische Verstärkung gab es durch Eddie Taylor (sax), Tom Winter (perc, voc) und Jimmy Jackson (key).

Die erste Deutschlandtournee verfolgten im Herbst 1981 24000 Besucher. "Er ist Rock'n'Roll. Er ist es mit der zupackenden, virtuos falsettierenden, keine Gossen-Pointe verschenkenden Stimme wie mit der unverblümt obszönen Körpersprache und dem rastlosen Hin- und Herrennen quer über die Bühne. Aber auch die Lieder selbst haben frischen Atem, sind voll vom Mief des Alltags" (Süddeutsche Zeitung).

Drei Millionen Kinobesucher von "Theo gegen den Rest der Welt" machten Marius Müller-Westernhagen "zum neuen deutschen Filmidol" (Spiegel). Die Rolle des immer optimistischen Tunichtguts und Pechvogels wirkte sich auch auf den Musiker positiv aus: 1981 plazierte sich nach "Sekt oder Selters" auch die ältere LP "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" (D #19) in den Hitparaden und das neue Werk "Stinker" (D #5) wurde im Sommer vergoldet; es enthielt mit "Von drüben" ("Guten Tag, ich bin die Gerti aus der DDR") wieder einen Song, der kontrovers diskutiert wurde.

Der Aufstieg von Marius Müller-Westernhagen zu "Deutschlands Rockstar Nr. 1" (Düsseldorfer Express) setzte sich über ausverkaufte Tourneen und Hitalben kontinuierlich fort. Doch zunächst kam es bei der 81er Tour zu einem Unfall. Marius rutschte bei einem seiner Bühnensprints aus und brach sich den Arm.

Für den am 13.12.1981 ausgestrahlten "Tatort" nahm er den Song "Hier in der Kneipe fühl ich mich frei" (D #42) auf. Im Frühjahr 1982 drehte MMW unter der Regie von Reinhard Hauff den Film "Der Mann auf der Mauer".

Wiederum mit Lothar Meid als Produzent entstand die LP "Das Herz eines Boxers" (D #11) in London, "wo mich keiner kannte, wo ich mich neu beweisen konnte" (Marius Müller Westernhagen). Mit Ian Parker (key), Dolphin Taylor (dr) und Gary Barnacle (sax) rekrutierte er junge, unverbrauchte Musiker aus der britischen Szene und als Rhythmusgitarrist wurde Kralle Krawinkel (Trio) engagiert. Der LP-Titel und die Covergestaltung visualisierten trefflich Westernhagens immer wieder betonte Haltung zwischen Gefühl und Härte. Musikalisch kontrastierte er seine Rock'n'Roll- und R&B-Muster auf "Das Herz eines Boxers" mit "modernen Funk- und Reggae-Elementen" (Musikmarkt).

Mit dem jungen Frankfurter Christian Schneider als Ersatz für Eddie Taylor, Paul Fox (g), Dolphin und Parker abwolvierte MMW seine 83er Tournee.

Diese Liveband - mit Olaf Kübler an Stelle von Schneider - nahm die LP "Geiler is' schon" (D #41) auf. Jim Rakete und Roman Stolz von der Berliner Fabrik Rakete entwarfen die Album-Hülle und das dazugehörige Werbematerial, für das sie das Lacoste-Krokodil auf den Rücken legten. Westernhagen & Co. klangen wieder rockiger, witziger und positiver als beim Vorgänger.

In reduzierter Besetzung entstanden die asketischen Arrangements zur LP "Die Sonne so rot" (D #40), um "wirklichen Studio-Rock zu entwickeln, der allerdings nicht versucht im Studio die Live-Atmosphäre nachzuahmen" (Marius Müller-Westernhagen). Gastmusiker des Trios (Westernhagen, Meid, Krawinkel) war Holger Czukay von Can. Die Platte stiftete Verwirrung unter den Marius-Fans und gehört zu seinen schwächeren Arbeiten.

Im Kinofilm der "Schneemann" spielte MMW 1985 die Hauptrolle. Peter F. Bringmann war erneut Regisseur dieser turbulenten, ironischen Drogenaffäre. Außerdem erschien im September des Jahres der Sampler "Laß uns leben" (D #64), der sich in erster Linie aus Balladen zusammensetzte. Die Band seiner 86er LP "Lausige Zeiten" (D #18) bestand aus Christian Schneider (sax), Lothar Meid (b, comp) und Rüdiger Elze (g, man) und sorgte für "monotone Maschinen-Beats, spröde Gitarren, schlagzeilenartige Texte" (Musik Express).

Zwischen den Jahren 1986/87 wirkte Müller-Westernhagen unter der Regie von Beat Kuert in dem Film "Deshima" mit. Kuert starb während der Dreharbeiten und damit endete auch das Filmprojekt.

1987 nannte sich der "fahrige Loser-Prototyp" (Tip) erstmals nur noch Westernhagen. Bei der LP "Westernhagen" (D #27) verzichtete er auf Lothar Meid, übernahm mit René Tinner die Produzentenaufgaben selbst und präsentierte sich rauher und eckiger als auf den vorangegangenen Platten: "Westernhagen ist ein bemerkenswertes Ding. Nach den elektronischen Versuchen auf den letzten beiden Alben, hat sich Deutschlands bester Rock 'n' Roll-Schauspieler eine kompetente Band gesucht und alle Konventionen über Bord geworfen" (Musik Express). Zu dieser Band gehörten wieder Charlie Terstappen (dr), sowie Elze, Schneider, Raoul Walton (b) und Jay Stapley (g).

Marius Westernhagen besann sich auf seine Stärken als Rock'n'Roller, absolvierte ausverkaufte, umjubelte Konzerte, bei denen er die Hallen in riesige Parties verwandelte und etablierte sich nun endgültig unter Deutschlands führenden Rock-Entertainern. Als Schauspieler erlebte er dagegen mit dem Film "Der Madonna Mann" von H.C.Blumenberg einen klassischen Kinoflop.

Im August 1989 konnte Marius Westernhagen sich über den Mega-Erfolg des Albums "Hallelujah" (D #1) mit den Single-Hits "Sexy" (D #24) und "Weil ich dich liebe" (D #31) freuen. Die "LP des Monats" (Stereo) stieg auf dem ersten Platz in die Charts ein, wurde mit Platin ausgezeichnet und von den deutschen Medien hochgelobt: "Rock'n'Roll mit deutschen Texten klang selten lauter und besser. Westernhagen beschränkt sich nämlich auf das Wesentliche: Gefühle statt Duselei, Teamarbeit statt Technologie, Sex statt umweltpolitischer Kummerfalten" (Musik Express).

In Bestform stellte sich Westernhagen ab November 1989 rund 500000 Fans, die seine zweimonatige Tour durch 24 Städte verfolgten. Er bot "Rock ohne Schnörkel und Texte, die aus dem Bauch kommen" (Westfälische Rundschau) und begeisterte sein Publikum durch "Wechselbäder mit butterweichen Balladen und einer Kreissägenstimme, die sich ihren Weg in das Hirn der Zuhörer bahnt" (Wiener). Am 20.12. wurde in der Dortmunder Westfalenhalle vor 20000 Zuhörern - ohne anschließende Nachbereitung im Studio - das Doppelalbum "Live" (D #1) mitgeschnitten. Das hymnenartige "Freiheit" (D #24) erschien im Oktober 1990 als Single.

Seit 1989 mit der farbigen Amerikanerin Romney Williams verheiratet, ließ sich der inzwischen sehr zurückhaltend lebende deutsche Rockstar bis zum März 1992 für eine neue LP Zeit. "JaJa" (D #1) kam mit 500000 Vorbestellungen in die Läden. Westernhagen rückte Blues-Stimmung und unretouchierte Rock'n'Roller in den Vordergrund und koppelte mit "Krieg" (D #11), "Rosi (Männer sind so schwach)" (D #36) und "Steh' auf" (D #57) drei Singles aus. Der Musik Express schrieb über den Westernhagen-Sound von 1992: "Marius hat mit dieser Platte prompt das gesamte Konkurrenten-Feld deutsch-sprachiger Produktionen in diesem Jahr abgemüllert. Ja Ja findet mit der Kreuzung von traumwandlerisch leichtfüßigen Ohrbohr-Melodien und pfundschwerem Rock'n'Roll im Plattenregal seinen gleichberechtigten Platz zwischen Ry Cooder und den Rolling Stones". Aus dem Teenager-Rebellen hatte sich ein Megastar entwickelt, der den Trubel um seine Person sehr skeptisch verfolgte und sich nur selten dem Medienrummel aussetzte.

Er festigte seine Position als erfolgreichster deutscher Rocksänger im September 1994 mit "Affentheater" (D #1). Trotzdem wurden erste kritische Stimmen laut, die "ständige Eigenzitate" (Berliner Morgenpost) ausmachten und "musikalischen Stillstand" (Hamburger Abendblatt) beklagten.

Die anschließende, wieder ausverkaufte, Deutschlandtournee "Affentour" im Sommer 1995 ließ allerdings Abnutzungserscheinungen bei "Deutschlands erfolgreichstem Rocksänger" (Hifi Vision) erkennen: "Der schnittig frisierte Blonde mit dem Knopf im Ohr, ergibt sich auf musikalischem Gebiet den Wonnen der Gewöhnlichkeit. Mit kleinen, einfältigen Rock-Stückchen, schwerem R&B-Stampf und den sentimentalen Ausfällen seiner jazzseligen Bläsertruppe versöhnt Westernhagen auch Randbereiche des Massengeschmacks. Doch meist deutschrockt und grönemeyert er entsetzlich" (Süddeutsche Zeitung).

Der US-Regisseur Donn Alan Pennebaker, der bereits 1967 das Monterey Pop Festival verfilmte, hielt Westernhagens "Affentour" mit dem 102minütigen Kinofilm "Keine Zeit" fest, der Anfang September 1996 seine Premiere erlebte. Der Soundtrack verkaufte sich rund 500.000 Mal - für sonstige Westernhagen-Dimensionen eine eher bescheidene Auflage. Auch den Film wollten gerade 11.000 Besucher sehen. Beide Projekte litten unter dem bekannten Songmaterial und dem zu großen Abstand zwischen Tour und Filmpremiere bzw. Albumveröffentlichung.

Quelle: Rockmusik-Lexikon

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